Mausefalle einmal anders …

Die Weihnachtsmaus

Rechtzeitig hatte ich heuer im Herbst auf meiner Terrasse das Vogelhaus aufgestellt, damit die Vögel sich an den neuen Platz gewöhnen konnten.

Kurz darauf wurde es eisig kalt, und die Insekten hatten sich längst schon verkrochen. So machten Meisen, Amseln und Sperlinge regen Gebrauch von meinem Futterangebot. Sogar ein Buntspecht ließ es sich schmecken, was ich so angeboten hatte.

Hie und da fielen auch ein paar Körner vom Futterhaus auf den Boden, oder ich verlor welche beim Nachfüllen.

Eines Mittags, vom Wohnzimmer aus, sah ich aus den Augenwinkeln etwas unter dem Futterhäuschen hin- und herhuschen, rund um den Brunnen, der in Winterstarre lag. Bei näherer Beobachtung erspähte ich eine kleine, graue Maus, die sich emsig und sehr flink mit Futter versorgte. Sie lief immer wieder in Richtung Hausmauer, und ich konnte mir eigentlich nicht vorstellen, wo sie direkt am Haus ihre Wohnung haben sollte.

Nun, dachte ich, sie wird  wohl im letzten Moment ihren Wintervorrat sammeln.

Kurz darauf, am zweiten Advent-Wochenende, befiel mich ein Infekt mit starkem Husten, der mich nachts ein paar Mal aufweckte. So ging ich schlaftrunken in meine Küche, um mir etwas zu trinken zu holen. Nein, eigentlich hatte ich erst den Vorsatz dazu …..

Aber was war das?! Husch-husch sauste irgendwas in meiner Diele am Boden herum, flüchtete in eine Ecke, hetzte weiter, und war dann verschwunden.

Na toll, dachte ich, das ist das nette Mäuschen von der Terrasse unter dem Vogelhaus, das beim Lüften meines Schlafzimmers (Parterre) in die gemütliche Wärme geflüchtet war.

Das Gedicht fiel mir ein von Rainer Maria Rilke: „Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr …“ Die Maus hatte nicht rechtzeitig vorgesorgt.

Von meiner Diele aus gibt es vier Türen – zum Wohnzimmer (die Türe war glücklicher Weise geschlossen), Schlafzimmer, Badezimmer und Abstellraum. Ja aber wo blieb die Maus? Zwischenzeitlich war ich hellwach geworden. Ich machte volle Beleuchtung, und alle Türen zu. Also im Wohnzimmer konnte sie nicht sein, aber sonst in jedem Raum. Sollte ich im Wohnzimmer auf der Couch schlafen? Nö, dachte ich, ich bleibe im Schlafzimmer, die Maus wird mich schon  nicht dauernd wecken. Ich schlief tatsächlich wieder ein, und wurde nachts auch nicht gestört.

Am nächsten Morgen, 1. Advent-Sonntag, rief ich meine Tochter an (sie wohnt im selben Ort) und bat sie, irgendwo eine Mausefalle aufzutreiben, in der die Maus lebend gefangen werden konnte. Ich selbst war krank; mir ging es miserabel.

Mit der Nachricht, eine solche Falle wäre nicht zu bekommen, tauchte meine Tochter bei mir auf. „Weißt du was, sagte sie zu mir, die fange ich mit der Hand, das habe ich schon einmal gemacht“. Wie das funktionieren sollte, konnte ich mir allerdings nicht vorstellen.

„Die ist sicher gekommen, um sich ein paar Weihnachtsplätzchen abzuholen“, erklärte sie mir ernsthaft, die hättest du ihr auch auf die Terrasse legen können“. Ich fand das gar nicht lustig.

In dem kleinen Abstellraum, angetan mit Handschuhen, denn die Maus in ihrer Bedrängnis könnte ja beißen, fingen wir die Suche an. Ich hatte vorher keine Ahnung, wie viele Dinge dicht nebeneinander in meinem kleinen Abstellraum stehen. Äußerst vorsichtig, mit spitzen Fingern, leerten wir ein paar Schachteln, sahen hinter die Leiter, und in jede Ecke. Es dauerte bis alles gesichtet, durchsucht, bzw. ausgeräumt war. Nichts. „Hier drin ist sie nicht“, stellte meine Tochter richtig fest. „Und in die Regale oben wird sie ja nicht gekrochen sein“.

Wir nahmen uns die Diele vor: Meine Tochter mutig die Expedition leitend, ich dahinter in Nachthemd und Morgenrock (da krank). Dazu stopften wir unter den Schuhschrank Decken und Lappen. Ich sagte nämlich: „Wenn sie uns da runtersaust, kriegen wir sie nie!“.

2 Reihen Schuhe hatte ich auf Teppichen am Boden abgestellt, dazwischen stand ein kleines Kästchen. Sehr umsichtig untersuchten wir die einzelnen Schuhe; es waren hohe Stiefel darunter. Meine Tochter „untersuchte“, ich assistierte ihr mit guten Ratschlägen.

Plötzlich stieß meine Tochter einen schrillen Schrei aus, und noch einen, und ich schrie genau so schrill – denn das Mäuslein sprang mit einem hohen Satz aus einem meiner Schaft-Stiefel, sauste hinter das Telefonkästchen, von da unter den kleinen Tisch, und meine Tochter immer hinterher, um die Maus, wie überzeugend angekündigt, mit ihren Händen zur Strecke zu bringen.

Nach vielen erfolglosen Bemühungen kam meine Tochter auf die Idee, ich sollte den Kescher holen, den ich im Sommer für den Teich benützte. Davon hielt ich nicht viel, trabte aber pflichtschuldigst im Morgenrock auf die eiskalte Terrasse, um besagte Fanghilfe zu beschaffen. In gebückter Haltung, damit mir die Maus nicht durch die Beine sausen kann, öffnete und schloss ich jeweils die Türe.

Doch inzwischen war die Maus wieder weg – irgendwo. Wir machten sie abermals ausfindig unter dem schmalen Kästchen. Sie sauste dann von rechts

nach links, von hinten nach vorn, während sie meine Tochter, den Kescher einsatzbereit in der Hand, von rechts nach links, von hinten nach vorn, verfolgte.

Super, dachte ich, so können wir weitermachen bis zum 3. Advent!

Mir fiel in der Hektik der Fangaktion auf, dass wir beide unablässig schrille Schreie ausstießen, während die Maus, wenn sie mal stillstand, mit erschreckten kleinen Knopfaugen irgendwo hervorlugte und zitterte.

Uns tat die kleine Maus ja von Herzen leid, aber ich konnte auch nicht gut mit einer Maus in meiner Wohnung leben.

Dann war sie abermals weg, die Maus. Nein, natürlich nicht wirklich „weg“, aber sie hatte sich erneut verkrochen. Wir waren selbst schon ganz ausgepowert, etwas zittrig, und hatten vor Aufregung und Stress Herzrasen. Aber die Maus hatten wir nicht.  Da war guter Rat teuer.

Wieder fingen wir bei den Schuhen an. Mühsam, sehr mühsam. Da war sie nicht, die Maus.

Unter dem kleinen Tisch, auf dem ich manches ablege, stand ein gefüllter Korb. Behutsam alles ausräumen. Was da alles drin ist in einem solchen Korb! Vieles, nur keine Maus. Daneben befand sich eine schmale, gepackte Reisetasche. Mit offenem Reißverschluss. Nun, der geneigte Leser meiner aufregenden wahren Story wird es erahnen: Mit einem kessen Satz sprang die Maus aus der Tasche heraus (im nachhinein stellte ich fest, dass sie schon eine Plastiktüte mit Inhalt angeknabbert hatte), während wir wieder schrille Schreie ausstießen, obwohl wir eigentlich vor der Maus keine Angst hatten, nur die Umstände waren so anstrengend. Außerdem hatte mich schon einmal eine Ratte gebissen. Die Folgen waren ein 14-tägiges Drama. Eine Maus ist zwar keine Ratte, aber die Erinnerung blieb.

Und dann hatte das Schauspiel seinen Höhepunkt erreicht: Ich spürte eine Bewegung hinten an meinem Rücken. Die Maus wird doch nicht! „Du lieber Himmel“, kreischte ich, „die Maus saust mir den Rücken hinauf!!!“ Ich riss mir den Bademantel herunter, und ließ ihn fallen. „Das glaubst du doch selber nicht“, meinte meine Tochter ungläubig, „die hat sich wieder irgendwo versteckt“. „Nein, nein, da ist die Maus drin, echt, im Bademantel“, rief ich aufgeregt und schon ziemlich genervt, „sie krabbelte mir den Rücken hoch, zwischen Nachthemd (zum Glück hatte ich das an) und Bademantel“.

Wir holten einen Eimer (vorsichtig die Türen schließend) und legten den Bademantel behutsam hinein, falls die Maus doch ???. Mit dem Eimer samt Inhalt, und darüber noch eine Plastiktüte, gingen wir durch mein Wohnzimmer auf die Terrasse. Es war saukalt, wie man in Bayern sagt.

Ich zupfte mit spitzen Fingern den Bademantel aus dem Eimer, und schüttelte ihn aus. Und was geschah? Die Maus floh sozusagen buchstäblich aus dem Bademantel, und flitzte davon.

Meine Tochter und ich sahen uns an, und brachen in schallendes Gelächter aus. Wir hatten es geschafft – und die Maus auch. Aber wir waren auch geschafft. Schließlich setzten wir Himmel und Hölle in Bewegung, um eine kleine, graue Maus zu fangen.  Wie lange die Aktion gedauert hat? Keine Ahnung. Wir hofften aber, die kleine, verängstigte Maus hat noch ein gutes Quartier gefunden.

Bei Kaffee und Weihnachtsplätzchen (bei uns in Bayern heißt das nicht „Kekse“!) haben wir diese unglaubliche Mäuse-Ausquartierung  ausklingen lassen.

Meine Tochter meinte noch etwas süffisant, bevor sie sich verabschiedete: „Lüfte besser ab jetzt immer bei geschlossenen Rollos, sonst sieht die kleine Maus das als Einladung, und meint, sie bekommt auch noch einen Weihnachtsbraten“.

Den Rat habe ich befolgt.

Rimsting, im Advent 2010

PS: Vielleicht gebe ich eine Anleitung heraus: “Wie man eine Maus ohne Falle mit dem Bademantel fängt“.