Die Heiligen Drei Könige einmal ganz anders betrachtet …

Die eiligen Drei Wissenschaftler

Hale-Bopp leuchtete so intensiv, dass Professor Balthasar aus dem Sudan ganz geblendet War. Er hielt sich die Hand vor Augen und blinzelte zum Himmel hinauf. Dies musste der Stern sein, der die Ankunft des neuen Königs ankündigte. So hatte er es in einem alten Buch gelesen, das sich schon viele Jahrhunderte in Familienbesitz befand.

Er nahm sein Handy aus der Jackentasche und rief seinen Freund und Kollegen Dr. Melchior im fernen Oman an, um sich zu vergewissern, dass dieser derselben Ansicht war. Sie hatten bei ihren regelmäßigen Treffen schon des öfteren über diese Weissagung gesprochen, waren aber nie zu einem konkreten Ergebnis gekommen.

Dr. Melchior befand sich gerade im physikalischen Institut, um einige wichtige Versuche durchzuführen, und wollte eigentlich nicht gestört werden. Als ihn aber die Nachricht von dem phantastischen Himmelsereignis erreichte, stürzte er sofort zu seinem Teleskop, um die Beobachtungen zu überprüfen. Das hätte er gar nicht gebraucht, denn der Komet war deutlich mit bloßem Auge zu erkennen, und den breiten, leicht gekrümmten Schweif zog er hinter sich her.

Zufälligerweise war ihm gerade vor einigen Wochen die wissenschaftliche Abhandlung eines Dozenten der Universität von Teheran in die Hände gefallen, in der dieser den Zusammenhang zwischen dem Auftauchen eines Kometen und der Geburt eines Königs aus astronomischer Sicht zu erklären versuchte. Mit diesem Wissenschaftler musste Verbindung aufgenommen werden.

Dr. Caspar aus dem Iran war Feuer und Flamme, als er endlich zwei Gleichgesinnte fand, die sich ebenfalls für das Thema interessierten. So verständigten sich die drei Gelehrten untereinander, um das Phänomen genauer zu erforschen.

Leider passte dieses unvorhergesehene Ereignis nicht so recht in ihren Zeitplan, denn Professor Balthasar sollte in Kürze ein internationales Symposium leiten, und Dr. Melchior war zu einem wissenschaftlichen Referat in die Vereinigten Staaten eingeladen. Auch Dr. Caspar hatte diesbezüglich Probleme. Aber die einmalige Gelegenheit, dieses Geschehen aus dem Grenzbereich der Wissenschaft aufzuklären, wollten sie nutzen. Das konnte für sie ja nicht schwierig sein.

Die drei Wissenschaftler beriefen eilig eine Videokonferenz ein, und tauschten ihre Daten im Internet aus. Doch obwohl sie weltweit Zugang zu allen bedeutenden Datenbanken hatten, ergaben sich keine genauen Annhaltspunkte über den Geburtsort des Königs.

Die ganzen technischen Hilfsmittel brachten sie nicht weiter. So beschlossen sie, Recherchen vor Ort anzustellen, denn irgendwo musste der Stern, der sich nach Angaben der NASA über Israel befand, ja anhalten – so stand es zumindest in der alten Überlieferung.

Die Frage nach Geschenken tauchte auf, denn wenn an der Prophezeiung tatsächlich etwas Wahres sein sollte, konnten sie nicht mit leeren Händen dastehen. Gold kam wegen des hohen Gewichts nicht in Frage, und Weihrauch war momentan wegen eines Handelsembargos nicht aufzutreiben. Sie legten deshalb internationale Aktienfonds und Anteilscheine an einem Ölfeld in ihre Aktentasche. Und ein Päckchen mit Myrrhe, da das wohlriechende Harz der Myrrhe-Balsamsträucher schon immer ein begehrtes und kostbares Handelsgut war. Etwas Tradition musste schon sein.

Bereits am folgenden Tag trafen sich die drei Gelehrten am Flughafen Ben Gurion in Tel Aviv. Dr. Caspar war -der Eile halber – mit einer Militärmaschine angereist, und es bedurfte umfangreicher diplomatischer Anstrengungen, um ihm die Einreise zu ermöglichen. Der Last-Minute-Flug von Prof. Balthasar kam mit einer Stunde Verspätung an. Nur der Privat-Jet von Dr. Melchior landete planmäßig.

Auch am Zoll gab es Verzögerungen: ein Drogenhund der israelischen Sicherheitspolizei stöberte das Päckchen mit Myrrhe auf, die von den anwesenden Beamten für eine illegale Droge gehalten wurde. Es entwickelte sich ein langes Verhör. Erst ein herbeigerufener Pharmazeut konnte bestätigen, dass es sich um keine verbotene Droge handelte, sondern das destillierte Myrrhe-Öl auch heute noch zur Parfümherstellung und zu medizinischen Zwecken verwendet wird.

Schon beim Verlassen des Airports sahen sie wieder den leuchtenden Stern. Sie riefen sich ein Taxi, und baten den Fahrer, dem Stern in südöstlicher Richtung zu folgen. Der Taxifahrer wusste nichts über einem neugeborenen König; den Kometen hielt er übrigens für einen Wettersatelliten.

Nach einstündiger Fahrt erreichten sie Jerusalem, und der Taxifahrer weigerte sich, die Gäste weiterhin zu befördern, weil er die Drei für Spinner hielt, und ihm die Sache langsam unheimlich wurde.

So blieb den Dreien nichts anderes übrig, als sich einen Geländewagen mit Allantrieb zu mieten und auf eigene Faust loszuziehen. Allerdings mussten sie schon nach einiger Zeit feststellen, dass das GPS ausgefallen war. Dr. Melchior hielt es für möglich, dass die Störungen durch den Kometen ausgelöst wurden.

Da standen sie nun in der einsamen Berggegend im Dunklen und kamen sich hilflos vor, nachdem in diesem Fall ihre ganze Hightech-Ausstattung versagt hatte. Letztlich kam es zu Meinungsverschiedenheiten: Dr. Melchior war für das Abbrechen der Expedition, die anderen Herren wollten aber nicht aufgeben.

Zu ihrem Glück fand sie eine Karawane, die auch des Weges kam. Eine Verständigung mit den Nomaden war zwar nicht möglich, da in Dr. Caspars Sprachcomputer nur die gängigen Weltsprachen gespeichert waren. Aber den Gesten der Männer konnten sie entnehmen, dass die kleine Karawane ebenfalls dem Stern folgte.

Die drei Wissenschaftler ließen ihre ganze Ausrüstung zurück und nahmen nur die Geschenke mit; lediglich Dr. Caspar wollte sich nicht von seinem Notebook trennen. Auf dem Rücken der Kamele ging nun ihre Reise weiter.

Plötzlich blieb der Stern stehen! Hier in dieser einsamen Gegend sollte ein König geboren sein? Der Glanz des Kometenschweifes beleuchtete den Eingang einer Höhle. Die  Reisenden hatten aber den Eindruck, aus der Höhle würde ein noch viel helleres Licht strahlen, das langsam die ganze Gegend erleuchtete.

Vorsichtig näherten sich die drei Wissenschaftler dem Eingang der Höhle. Als sich ihre Augen etwas an den strahlenden Schein gewöhnt hatten, sahen sie, dass das Licht von einem Kind ausging, das in einer Futterkrippe lag. Daneben saß seine Mutter und strickte aus weicher, weißer Wolle ein Jäckchen für das Kind. Dahinter stand ein Mann, der Heu an einen Ochsen und einen Esel verteilte. Ochse und Esel wärmten mit ihrem Atem das Kind, denn hier oben in den Bergen wurde es nachts bitterkalt.

Das Kind lächelte die drei Wissenschaftler an, und in diesem Lächeln spiegelte sich alle Liebe dieser Welt. Ein noch nie gekanntes Glücksgefühl durchströmte sie. Sie wussten, dass sie am Ziel waren. Nun hatten sie es nicht mehr eilig. Vergessen das Symposium, die physikalischen Versuche und der Termin in New York. Sie wussten, dass sie hier etwas viel Wichtigeres, Elementares gefunden hatten, das sich mit keiner Formel erklären und beweisen ließ: Etwas Einfaches aber zugleich Großartiges –

DEN GLAUBEN AN DIE LIEBE: